Das Wesen von Verblendung


Phantasy defense ist Verweigerung gegenüber der Wirklichkeit.

Phantasy defense führt in den Verstand, in eine vollständig abgekoppelte Welt – die Welt des Verstandes.

Die Welt des Verstandes besteht aus Strukturen, die dem Verstand eigen sind und nur im Verstand vorkommen; sie sind keine Strukturen der Wirklichkeit.

Die Struktur der Identifikation ist eine Verstandesstruktur, und nicht etwas, das in der Wirklichkeit vorkommt.

Diese Strukturen kommen in der Wirklichkeit durchaus als Verstandesstrukturen vor. Der entscheidende Punkt der Verblendung ist aber, dass diese Strukturen behaupten, sie seien die Wirklichkeit.

Es ist wahr und korrekt, dass im Verstand Identifikationsstrukturen vorkommen. Als solches, als Strukturen des Verstandes, sind diese Strukturen wirklich: Es ist ein Sachverhalt in der Wirklichkeit, dass der Verstand Identifikationsstrukturen produziert.

Der entscheidende Punkt der Verblendung (Maya bzw. avidya – Unwissenheit) ist, dass der Verstand behauptet, seine Strukturen seien die Wirklichkeit.

Verblendung ist, wenn der Inhalt des Verstandes als Wirklichkeit genommen wird, und dadurch die Wirklichkeit aus den Augen verloren wird. Dadurch wird auch der Verstand nicht mehr als das gesehen, was er ist: eine von der Wirklichkeit abgekoppelte Struktur.

Das ist der entscheidende Punkt der Verblendung, und nicht der Sachverhalt, dass da im Verstand Identifikationsstrukturen vorkommen.

Deshalb geht es im spirituellen Weg nicht darum, diese Verstandesstrukturen wegzumachen oder sonstwie mit ihnen zu arbeiten, sondern es geht darum, Verstandesstrukturen als Verstandesstrukturen zu sehen und zu erkennen. Und ihren Stellenwert und ihren Stand, ihren Wirkungsbereich, ihren Zugehörigkeitsbereich korrekt zu sehen.

Das ist alles, was passieren muss, damit man nicht mehr gefangen ist.

Gefangen ist man nicht von den Verstandesstrukturen, sondern gefangen wird man vom Irrtum, dass Verstandesstrukturen etwas anderes seien als Verstandesstrukturen, nämlich Wirklichkeit.

Dieser Irrtum, die falsche Einschätzung der Verstandesstrukturen, und nicht die Verstandsstrukturen an sich, ist das, was das grundsätzliche Leiden und damit das spirituelle Suchen bewirkt.

Wenn man Verstandsstrukturen klar als Verstandesstrukturen sieht, dann nehmen sie einen nicht gefangen.

Und man kommt nicht von Verstandesstrukturen weg, indem man gegen sie kämpft, sondern indem man sie zu sich selber kommen lässt. Indem man sie nimmt als das was sie sind, nämlich Verstandesstrukturen.

Das ist das, was sich diese Verstandesstrukturen auch wünschen: dass sie so gesehen werden wie sie sind.

Und damit kommt es zur Ruhe.

Ich fasse das bisher Gesagte zusammen und gehe dann weiter:

Durch Verweigerung gegenüber WAS IST entsteht phantasy defense.

Phantasy defense bedeutet, dass man sich der Wirklichkeit verweigert.

Sich der Wirklichkeit verweigern kann man nur, indem man der Wirklichkeit etwas entgegenstellt.

Und das Entgegengestellte kann nicht in der Wirklichkeit stattfinden, denn dann wäre die Verweigerung ja nicht erfolgreich, und damit wäre die Verweigerung gar nicht erfolgt.

Das Entgegengestellte findet im Verstand statt. Und es besteht damit komplett aus den Strukturen des Verstandes.

Der Verstand arbeitet mit Trennung und mit Identifikation. Identifikation ist eine reine Verstandesstruktur. Es kann nicht eine Wirklichkeitsstruktur sein. Wirklichkeit kann nicht als Ding mit Eigenschaften oder als Identifikationsstruktur bestehen oder sein.

Ding mit Eigenschaften kann nicht Wirklichkeit sein. Es kann nicht sein, dass da eine Tasse ist, und dann ist sie zudem auch noch rot. Und sie könnte auch blau sein. Das geht nicht. Die rote Tasse ist in Wirklichkeit nicht zusammengesetzt aus einer farblosen Tasse sowie der Farbe Rot. Die rote Tasse ist in Wirklichkeit sich selbst, ein Ganzes und Eines.

Was soll diese Eigenschaft „rot sein“ oder „blau sein“ denn für sich genommen sein? Was soll das Sein einer solchen Eigenschaft sein? Wie soll „rot sein“ für sich genommen Wirklichkeit sein?

Und was ist das für eine Tasse, die keinerlei Farbe hat? Und die immer noch die gleiche ist, wenn sie eine Farbe hat?

Denn um von „Ding mit Eigenschaften“ ausgehen zu können, muss man ein Ding haben, das unveränderlich ist, und separat davon Eigenschaften, die wechseln können, wobei aber das Ding bei allen möglichen wechselnden Eigenschaften immer noch das gleiche bleibt.

Denn wenn das Ding ein anderes Ding würde wenn die Eigenschaft wechselt, dann könnte man ja nicht sagen, das Ding habe jetzt eine neue Eigenschaft, weil das Ding dann gar nicht mehr vorhanden wäre. Man könnte in diesem Fall nicht immer noch auf das gleiche Ding Bezug nehmen, weil das gleiche Ding nicht mehr existiert.

Und das hat zur Folge, dass das Ding völlig eigenschaftslos sein soll, aber jedwelche Eigenschaften annehmen kann, ohne dass es sich dabei aber in der geringsten Weise verändert. Und ohne jegliche Eigenschaften ist es immer noch das genau gleiche Ding.

Und dieses Ding ohne jegliche Eigenschaften ist das eigentliche Ding, während die Eigenschaften nur äusserlich und zufällig am Ding anhaften, ohne dass sie das Ding in irgend einer Weise ausmachen, verändern oder bestimmen.

(Dieser Ansatz behauptet zudem auch noch, dass wir am Ding nur seine Eigenschaften erkennen können. Die zusätzlichen Abstrusitäten, die sich aus diesem weiteren Punkt ergeben, lassen wir hier aber beiseite.)

Aber ein völlig eigenschaftsloses Ding ist unvorstellbar. Und vor allem ist eben Wirklichkeit nicht aus der Struktur „Ding mit Eigenschaften“ aufgebaut. Das ist absurd. Wirklichkeit ist nicht aus eigenschaftslosen Dingen und losgelösten Eigenschaften aufgebaut, die sich zufällig und rein oberflächlich miteinander verbinden, ohne sich aber gegenseitig auch nur in der geringsten Weise zu bestimmen, zu verändern oder zu beeinflussen, aber dann gemeinsam eine Einheit sein sollen.

Es lässt sich nicht einmal sinnvoll beschreiben, wie die Eigenschaften dem Ding überhaupt anhaften sollen, wenn die Eigenschaften das Ding in keiner Weise bestimmen. Was ist der Zusammenhang zwischen dem Ding und seinen Eigenschaften? Und wie soll dieses Zusammenhängen in der Wirklichkeit stattfinden? Und wie ergibt sich daraus ein einheitliches Ding? Was tragen die Eigenschaften zum Ding bei, wenn das Ding an sich ohne jegliche Eigenschaften ist? Wie kann es dann überhaupt Eigenschaften haben? Was ist ein Ding ohne jegliche Eigenschaften? Was sind Eigenschaften ohne einen Träger? Der Ansatz „Ding mit Eigenschaften“ verstrickt sich in viele seltsame und unlösbare Widersprüche.

Und wie Hegel dargelegt hat, können wir Eigenschaften einem Ding nur zuschreiben, wenn wir das Ding bereits erkannt haben. Und diese Erkenntnis kann nicht über den Ansatz „Ding mit Eigenschaften“ vonstatten gehen, sonst kommen wir in einen infiniten Regress (ein infiniter Regress ergibt sich dann, wenn ich das, was ich begründen will, als Begründung benütze für das, was ich begründen will. Damit bin ich immer wieder am selben Ort an dem ich begonnen habe - und begründe somit nichts, sondern drehe mich im Kreis).

Die Wirklichkeit ist nicht aus Dingen mit Eigenschaften aufgebaut. „Der Ball ist rot“ kommt nur im Verstand vor, nicht in der Wirklichkeit.

Es ist fruchtbar und empfehlenswert, sich die Konsequenzen klar vor Augen zu führen: „Der Ball ist rot“, „ich bin traurig“, „der Himmel ist blau“ sind alles reine Verstandesstrukturen, die in der Wirklichkeit nicht vorkommen.

Es sind alles Gedanken. Die Wirklichkeit ist kein Gedanke. Du bist kein Gedanke. Und die Wirklichkeit und Du sind auch nicht so aufgebaut wie diese Gedanken. Es gibt keine Ähnlichkeit zwischen diesen Gedanken und der Wirklichkeit.

Du bist kein Ding mit Eigenschaften. Die Wirklichkeit ist kein Ding mit Eigenschaften, und besteht auch nicht aus Dingen mit Eigenschaften. Und die Wirklichkeit hat auch nicht die Struktur „Ding mit Eigenschaften“, und sie kann mit dieser Struktur nicht zutreffend beschrieben werden.

„Ding mit Eigenschaften“ ist vollständig ein Verstandeskonstrukt. Diese Struktur kommt in der Wirklichkeit nicht vor, und sie bildet die Wirklichkeit auch nicht ab. Wirklichkeit ist nicht solcherart.

Auch bei diesem Punkt lohnt es sich, die Konsequenzen klar zu sehen: Die Struktur „Ding mit Eigenschaften“ bildet die Wirklichkeit nicht ab. Unsere Gedanken repräsentieren nicht Wirklichkeit. „Der Ball ist rot“ bildet keinen roten Ball in der Wirklichkeit ab, der irgend eine Ähnlichkeit mit dem Gedanken „Der Ball ist rot“ hat.

Es besteht keine Homologie zwischen Gedanken und Wirklichkeit.

Du bist kein Gedanke, und ein Gedanke über Dich hat keine Ähnlichkeit mit Dir. Alle Deine Gedanken über Dich, Deine Überzeugungen über Dich, Deine Selbstbilder und Identifikationen, sind blosse Gedanken. Sie sind nicht Du, und sie haben auch keinerlei Ähnlichkeit mit Dir. Sie bilden nichts ab.

Du bist kein Gedanke. Du bist Wirklichkeit. Wenn Du meinst, Du seist Gedanken, dann koppelst Du Dich von der Wirklichkeit ab. Und damit koppelst Du Dich auch von Dir selbst ab.

Das ist gemeint, wenn gesagt wird, der Finger, der auf den Mond zeigt, sei nicht der Mond. Es gibt nichts Mondhaftes im zeigenden Finger. Man sollte den Finger nicht für den Mond halten.

Und der Mond weiss nichts vom zeigenden Finger, und er ist nicht bestimmt vom zeigenden Finger. Der Mond ist sich selbst.

„Ding mit Eigenschaften“ ist eine andere Bezeichnung für Identifikationsstrukturen. „A ist xy“. „A hat xy als Eigenschaft“. „Ich bin xy“.

Das ist alles Verstandswelt. Und solange wir uns in dieser Welt von Dingen mit Eigenschaften, in dieser Klumpenwelt bewegen, bewegen wir uns nicht in der Wirklichkeit, sondern stehen in der Verweigerung gegenüber der Wirklichkeit.

Und das Ich, das in dieser Verstandeswelt vorkommt, ist selber Verstand, und nichts anderes als Verstand. Ein Gegenstand unter anderen Gegenständen.

Und das macht Vereinzelung und Isolation und Feindseligkeit. Eine feindselige Welt, in der ich mich verloren und isoliert bewege, auf der Suche nach Verbindung und nach Begegnung, die in dieser Welt nicht vorkommen.